_Das langsame Sterben alter Sorten_ Was heute an Nutzpflanzen in den Industrieländern angebaut wird, ist nur noch ein Bruchteil der Sorten, die noch vor hundert Jahren auf unsere Tische gelangten. 90 Prozent aller Sorten gingen während der vergangenen hundert Jahre verloren. Schuld daran war vor allem die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft. Nur einheitliche Lebensmittel, die maschinell geerntet und verarbeitet werden können und sich dazu noch sehr gut lagern und transportieren lassen, haben sich in dem Verdrängungswettbewerb behauptet.
Verschwunden sind dagegen gerade die Sorten, die sich besonders gut für den Anbau im Hausgarten eignen. Bei solchen Sorten wird Wert darauf gelegt, dass sie über einen möglichst langen Zeitraum Ertrag bringen. So kann man täglich die passende Menge für die Küche ernten.
Mit dem Verlust alter Sorten gehen auch Eigenschaften verloren, die die Evolution über Jahrtausende hinweg langsam geschaffen hat: Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit, Frost oder Krankheiten, wertvolle Inhaltsstoffe, wie Vitamine oder andere gesunderhaltende Wirkstoffe, die erst nach und nach entdeckt und erforscht werden und nicht zuletzt natürlich auch ihr ganz eigener unnachahmlicher Geschmack.
Wie hoch die Arten- und Sortenvielfalt inzwischen eingeschätzt wird, zeigt eine Initiative der Vereinten Nationen. Der "Internationale Tag der biologischen Vielfalt" wird weltweit jedes Jahr am 22. Mai begangen. Informationen gibt es auf der Homepage des Bundeministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
_externer Link_ Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit http://www. Bmu. De/naturschutz/fset1024.php Verloren ist hier durchaus wörtlich zu nehmen, denn damit Samen gehandelt werden dürfen, müssen sie beim Bundessortenamt bzw. Dem europäischen Sortenamt angemeldet sein. Nur dann erfüllen sie garantiert bestimmte Vorgaben, wie Keimfähigkeit, Ertrag, Einheitlichkeit usw.. Diese Eigenschaften werden regelmässig überprüft und die jeweiligen Sorten unter kontrollierten Bedingungen angebaut. Das kostet natürlich Geld und daher lohnt sich eine solche Zulassung nur, wenn auch eine grosse Nachfrage besteht.
Traditionelle Sorten für den Hausgarten haben hier eine positive, aber bei dieser Gesetzeslage fatale Eigenschaft. Man kann aus ihnen den Samen für die nächste Generation selbst gewinnen. So konnten sich die Sorten auch über viele Generationen entwickeln und wurden von den Eltern an die Kinder weitergegeben.
Dies ist aber etwas, was professionellen Züchtern missfällt, denn diese leben ja vom Verkauf der Samen. So strichen die Züchter in der Vergangenheit gerade die Sorten aus ihrem Programm, die sich selbst vermehren liessen. Heute finden sich in den Regalen häufig sogenannte F1-Hybriden. Das sind Samen von Pflanzen, die zwar im ersten Jahr sehr grossen Ertrag bringen. Gewinnt man von ihnen jedoch nach der Saison seinen Samen selbst, bringt die folgende Generation nur noch wesentlich schwächere Pflänzchen hervor -ideal für Züchter, müssen so doch für jede Ernte neue Samen oder vorgezogene Pflanzen gekauft werden.
Mitunter hat das Sortensterben auch schlicht bürokratische Gründe. 1980 sollten die Sortenlisten der europäischen Staaten zu einem Gemeinschaftskatalog zusammengeführt werden. Natürlich tauchten dabei auch Sorten auf, die es aufgrund verschiedener regionaler Namen doppelt gab. 1500 Sorten wurden deshalb aus den Listen getilgt.
Später stellten Forscher von der englischen Henry Doubleday Research Association fest, dass eigentlich nur 500 Sorten tatsächlich Duplikate gewesen sind und zu Recht gestrichen wurden.
1000 Sorten waren einzigartig und verschwanden völlig unnötig aus den Listen.
Diese wurden, um die Bürokraten zu entlasten, von den Organisationen der Züchter zusammengestellt. Unter den gestrichenen Sorten fanden sich nach Angaben der englischen Forscher besonders viele, die sich aus selbst geernteten Samen nachziehen liessen. Dazu noch viele traditionelle Sorten, die bis dahin von jedermann vermehrt und gehandelt werden durften, da sie nicht von professionellen Züchtern angemeldet und geschützt worden waren.
Der Verlust an Sorten war bei einzelnen Arten enorm; bei Einlegegurken war das Missverhältnis besonders gross: 21 Sorten standen in Verdacht doppelt zu sein und wurden gestrichen. Nur eine Sorte war tatsächlich ein Duplikat. Bei den Tomaten verschwanden 153, bei den Zwiebeln 96 und beim Lauch 48 Sorten.
Unter Sortenschützern gilt daher der 30. Juni 1980 als der Schwarze Freitag der Sortenvielfalt. Denn das Saatgut dieser Sorten darf seit diesem Stichtag offiziell nicht mehr verkauft werden, sie waren deshalb unausweichlich zum Aussterben verdammt.
_externe Links_ Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V.
Zentralstelle für Agrardokumentation und -information (Zadi)
_Jeder Sorte einen "Paten"_ Dem Sterben seltener Sorten steuern nur einige wenige Erhaltungsinitiativen entgegen. Sie bauten ein Netz von "Paten" auf, engagierten Menschen, die seltene Sorten in ihren privaten Hausgärten anpflanzen und vermehren.
Die von den Paten gezüchteten Samen werden gegen Erstattung der Unkosten an Interessenten weitergegeben. Bei sehr seltenen Sorten hofft und erwartet man, dass möglichst viele Samen an die Initiativen zurückfliessen und dadurch die Zahl der Gärten immer weiter steigt, in der die Sorte angebaut wird. Wenn die schlimmste Gefahr aber erst einmal gebannt ist, müssen nur noch so viel Samen gewonnen werden, dass im nächsten Jahr wieder gepflanzt werden kann. Die Ernte kommt dann wieder primaer der eigenen Küche zugute.
Auf diese Weise konnten allein in Deutschland mehr als 2500 seltene Sorten vor dem Aussterben bewahrt werden. Jeder, der Lust hat, kann diese Initiativen unterstützen. Gemüse wie Kerbelrübe, Haferwurzel, Pastinak, Nachtkerze, Mangold, Topinambur, Gartenmelde, Lattich oder Ampfer aber auch Obst, wie Äpfel, Birnen oder Quitten können Hilfe gut gebrauchen.
Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (Ven) sucht aktuell z.B. händeringend nach Paten für Erbsen und Bohnen. Diese verändern sich durch die menschliche Kultur besonders schnell und so haben sich in den vergangenen Generationen unzählige regionale Sorten ausgebildet, perfekt angepasst an Klima, Boden und Regenmenge.
Neben dem überregionalen Ven gibt es noch einige regionale Initiativen, die sich auf die Erhaltung der Sorten einer bestimmten Region spezialisiert haben.
Wenn Sie Hobbygärtner sind oder werden und aktiv mithelfen wollen, finden Sie die Adressen im Anhang.
Unerfahrenere Gärtner können sich innerhalb der Initiativen bei Problemen beraten lassen, die ihnen über die ersten Schwierigkeiten hinweg helfen.
_externe Links_ Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (Ven)
Vern, Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg e.V.
Gemüsesortenprojekt "Rheinland (+) Pfalz", e-mail :christian Havenith mailto:cuhav@aol. Com
_Seltene Sorten auch für normale Gärtner_ Nicht jeder, der an einer traditionellen Gemüsesorte interessiert ist, möchte gleich in einer Erhaltungsinitiative mitarbeiten. Zwar geben die Initiativen Samen von Sorten, die schon auf breiterer Basis angebaut werden, in kleinen Mengen ab. Eine grössere Nachfrage lässt sich so jedoch nicht befriedigen. Es gibt aber einige kleine Betriebe, bei denen man Samen alter Sorten beziehen kann.
Bei einigen der Sorten ist dies völlig unproblematisch. Sie wurden ebenfalls in Frankreich angebaut. Und da dort immer schon Wert auf eine vielseitige Küche gelegt wurde, sind die Samen dort noch erhältlich und werden einfach importiert.
Bei anderen Sorten ist es etwas komplizierter. Nach dem Beitritt der europäischen Staaten zur "Internationalen Konvention zur Biologischen Vielfalt" wurden europäische Vereinbarungen auch zur Erhaltung von Nutzpflanzensorten getroffen. Deren Umsetzung in Deutsches Recht steht allerdings noch aus. Danach sollen sogenannte "Amateursorten" zur nicht gewerblichen Nutzung verkauft werden dürfen.
Bis die deutsche Regelung in Kraft tritt, werden die davon betroffenen Sorten von manchen Firmen gegen eine Spende abgegeben.
Diese kommt dann wiederum einem Verein zur Erhaltung der Sorten zugute. Etwas kompliziert, aber für den Empfänger macht das letztlich keinen Unterschied. Er erhält eine Sorte, die anders nicht zu bekommen ist.
_interner Link_ Samen alter Sorten
_Vergessene Kostbarkeiten_ Es gibt viele Gemüse, die meist nur selbst angebaut werden können.
Hier nur zwei Beispiele:
Gartenmelde: Die Melde ist eines unserer ältesten Salatgemüse und wurde schon von Hildegard von Bingen beschrieben. Sie lässt sich wie Spinat oder Salat verwenden. Melde ist bei Klima, Boden und Lichtangebot sehr unempfindlich, die Aussaat erfolgt März bis Juli. Geerntet werden die jungen, zarten Blätter der bis zu 2 m grossen Pflanze, die über einen langen Zeitraum nachwachsen.
Spargelsalat: Die jungen Blätter des Spargelsalates bilden eine Rosette, die als Salat zubereitet werden kann; die älteren Blätter bilden kräftige Stängel, die bei einer Länge von 30-50 cm geerntet werden. Sie lassen sich dann ähnlich wie Spargel zubereiten - geschält, um die bitteren Milchkanäle zu entfernen. Im März und April saeen, später nur an kühlen Tagen. Nicht zu spät saeen, da rund 100 Tage bis zur Ernte vergehen.
_Salate für jedermann_ Nicht nur Gartenbesitzer können sich an selbst gezogenem Gemüse erfreuen. Wenn kleine Einschränkungen im Ertrag akzeptiert werden, kann man sich den Spass machen und Salat oder andere Gemüse wie Tomaten u. Ae. Auf dem Balkon halten.
Bei Salat kann dies schon im Balkonkasten gelingen. Zwischen Geranien oder anderen Arten eingepflanzt und ausreichend gedüngt, gibt er durchaus passable Erträge. Die blühenden Pflanzen schützen den Salat sogar vor zuviel Wind, der ansonsten bei Nutzpflanzen den Ertrag stark mindern kann..
Bei Salaten sind noch recht viele Sorten mit alten Ursprüngen im Handel, so z.B. der Lollo Rosso und der römische Salat aus Italien.
Gut geeignet sind auch Pflücksalate, bei denen die geernteten Blätter über einen langen Zeitraum immer wieder nachwachsen.
Ein Geheimtipp von Christian Havenith, dem Organisator des Gemüsesortenprojektes "Rheinland (+) Pfalz" allerdings ohne kulinarischen Nebeneffekt: Aus einer gepflanzten Süsskartoffel entsteht während des Sommers eine Trichterwinde, eine Rankpflanze mit wunderschönen blauen Blüten. Ideal für sonnige Balkone! O-Titel: Altes Obst und Gemüse neu entdeckt: Gefährdete Schaetze (Info)
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