_Ein Lob den deutschen Küchenkräutern!_ Es ist noch gar nicht so lange her, da bot das normale deutsche Lebensmittelgeschäft nur drei Kräuter an: Petersilie, Schnittlauch und Dill. Die Zeiten sind vorbei: Aus Holland, Dänemark, Italien, Frankreich und deutschen Gärtnereien kommt inzwischen ein breites Angebot in unsere Läden - teils als Schnittkraeuter, teils als Töpfchen mit Jungpflanzen zum Selberziehen auf dem Balkon oder im Garten. Wobei man natürlich im Feinkostgeschäft mehr findet als im simplen Supermarkt und die ganze Reichhaltigkeit erst auf dem Wochenmarkt und in Gartencentern zur Geltung kommt.
Lange Zeit waren die Kräuter in unserer Küche geradezu zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Schuld daran war die Aufklärung, die mit einer wissenschaftlichen Medizin die Kräuterbücher des Mittelalters ablöste. Lediglich in den Bergregionen Süddeutschlands und in den bäuerlichen Gegenden der romanischen Länder konnten sie überleben. Jetzt, wo eine naturnaehere und gesündere Ernährung wieder in das allgemeine Bewusstsein gerückt, gibt es einen wahren Kräuterboom. In dieser Folge wollen wir uns auf einige wenige Kräuter mit zarten Blättchen begrenzen - übergehen also die eher mediterranen Kräuter, die sich auch gut trocknen lassen. In gewissem Sinn eine Ausnahme allerdings ist gleich unser erstes Kraut, der Majoran - er stammt ursprünglich aus Vorderasien, hat aber schon im Altertum seinen Siegeszug rund ums Mittelmeer angetreten: _Majoran_ Majoran ist eigentlich eine mehrjaehrige Pflanze, doch erfriert er im Winter bei uns, verträgt nicht einmal die ersten feuchtkalten Oktobernaechte, wenn er gleichzeitig Wind ausgesetzt ist. Seine Würzkraft ist im Spätsommer, wenn die kleinen weisslich-grünen Blüten sich ausgebildet haben, am höchsten. Er kann sehr gut getrocknet werden und steht dann auch den Winter über zur Verfügung. Man kauft ihn meistens etwas zerbröselt, in der Fachsprache heisst das "gerebelt". Majoran ist das unabdingbare Gewürz des Schlachttags - er gehört in viele Würste, vor allem Leber- und Blutwürste, würzt vielerlei Fleischgerichte und Eintöpfe.
Der lateinische Namen für Majoran ist Origanum majorana. Schwant Ihnen was? Ja, der Majoran ist sozusagen die kleinere Schwester des Origano, den man ja als Pizzagewürz und aus der griechischen Küche kennt. Es gibt den Origano in verschiedenen Varietäten, die schwer auseinander zu halten sind - lateinisch Origanum mit angehängter Unterbezeichnung maru, microphyllum, heracleoticum, kalitera, syriacum, dictamnus, tyttanum etc.
Am bekanntesten ist der italienische, dessen Blättchen etwas behaart, rauer und grösser sind als die der anderen Arten, stets etwas silbrig schimmern. Aus Griechenland kommen sehr kleinblättrige und intensiv schmeckende Sorten - auf Kreta hat sich sogar eine eigene Spezies entwickelt. Unserem Majoran sehr ähnlich ist Origanum majoricum, ein einigermassen winterhartes Gewächs, das sehr häufig, und zwar aus Italien kommend, in Töpfen angeboten wird. Man mag zunächst glauben, es handle sich um einen besonders grossblättrigen Majoran, es ist aber eine dem Origano näherstehende Zwischenform, wie man am Geschmack erkennen kann: Er schmeckt fast ein wenig minzig, die Blätter sind auch ganz fein behaart und glänzen grün-silbrig. Er übersteht leichte Fröste und lässt sich daher auch gut überwintern, wenn man den Topf bei strengerem Frost kurzzeitig ins Haus stellt.
Allerdings: Er verträgt weder Trockenheit noch feuchte und stehende Luft (Gewächshaus), sondern möchte lieber immer etwas Wind.
Die Form des Blütenstandes ist ein klares Erkennungsmerkmal, ob es sich um Majoran oder Origano handelt: Beim Majoran wird man die unscheinbaren Blüten mit den durchscheinend weissen Blütenblättern zunächst kaum bemerken, denn sie sitzen in den Blattachseln und ziehen sich den Stängel hoch, während sie bei den Origano-Arten doldig stehen, mit weissen oder rosa Blüten.
Übrigens gibt es auch bei uns auf kalkigen Böden einen Verwandten des Majorans, den Dost, Origanum vulgare, der aber weniger intensiv schmeckt - er sollte trotzdem in keinem Garten mit geeignetem Boden fehlen, denn seine rosa-violetten Blüten sind eine gute Käfer- und Schmetterlingsweide! _Kerbel_ Kerbel ist eine klassische Frühlingspflanze - graebt man ihn nach der Blüte aber nicht um, sondern lässt man ihn sich entwickeln und wieder aussamen, so bekommt man im Herbst - vor allem, wenn es regnerisch ist - eine herrliche Späternte an den erstaunlichsten Plätzen. Und zwar einen sehr viel kräftiger wachsenden Kerbel, als wenn man ihn selbst aussaet, weil dies oft nicht zum idealen Zeitpunkt und am idealen Ort geschieht. Falls Sie Kerbel auf dem Balkon haben, am besten an einen schattigen Ort stellen. Kerbel ist in fast ganz Deutschland die Grundlage für eine Suppe, die am liebsten am Gründonnerstag gegessen wird, aber im Herbst genauso gut schmeckt. In Frankreich gehört er unverzichtbar zu Erbsen.
Weiterhin würzt er Saucen zu Fisch oder Fleisch, schmeckt köstlich in Salaten, zu Eiern und im Quark. Man kann ihn zur Abwechslung eigentlich immer dann verwenden, wenn Petersilie gefragt ist.
_Estragon_ Estragon ist ganz ohne Zweifel eines der besten Küchenkräuter, allerdings auch eines der problematischsten. Denn nichts ist bei uns seltener zu bekommen als ein wirklich guter Estragon! Es gibt da nämlich ein Mysterium: den immer wieder geschilderten Unterschied zwischen französischem, russischem und deutschem Estragon (in älteren Büchern als Dragon, in den österreichischen und bayerischen als Bertram bezeichnet). Wo man fragt, sagt man garantiert, es handle sich um deutschen, und dieser sei der beste.
Stimmt aber im Allgemeinen nicht.
Und was in der modernen Kochbuch- und Gartenliteratur für ein Quatsch steht, geht auf keine Kuhhaut: Da wird nämlich deutscher mit französischem Estragon gleichgesetzt, der russische verworfen.
In Frankreich weiss man genau, dass dies nicht stimmt: Der deutsche und der russische sind sehr ähnlich, schmecken in erster Linie grasig, ein wenig nach Kümmel und leider nur sehr zart nach Estragon. Offensichtlich wird dieser Estragon auch aus Samen gezogen - und dann ist er immer langweilig! Guten Estragon gewinnt man nämlich nur aus Stockteilung von bewährten Stauden, oder über Stecklinge. Tatsächlich fällt solches Wurzelwerk alljährlich bei der Gartenarbeit an, denn Estragon hat die unangenehme Eigenschaft, sich recht schnell nach allen Seiten hin auszubreiten. Leider findet man Ableger des aromatischen Estragons nur in sehr seltenen Fällen bei uns - man muss nämlich feststellen, dass die meisten deutschen Gärtner gar nicht wissen, wie ein guter Estragon zu schmecken hat! Vom echten französischen Estragon sollten Sie sich, wann immer Sie auf ihn stossen, im Frühling bis hinein in den Fruehsommer einen bewurzelten Stiel mitnehmen, diesen oben auf drei bis vier Blattachseln einkürzen und sofort in feuchte Erde pflanzen.
Eventuell mit einer Plastiktüte gegen Austrocknung schützen. Nur dann haben Sie das wirklich köstliche, intensiv nach Anis und Estragon duftende Kraut, das in der feinen französischen Küche so beliebt ist: an Salaten mit Fisch, Fleisch und Meeresfrüchten, zu Kalb und Huhn, in Saucen und eingelegt in Essig (auch als Würzessig und zu Gurken) - himmlisch! Dieser gute Estragon hat relativ breite, vor allem in der Jugend ausgezackte, später eher kurze, lanzettförmige und ganz hellgrüne Blätter mit mehreren Längsadern, im Gegensatz zum deutschen, der lange, dunkelgrüne, an der Unterseite silbrig schimmernde Blätter besitzt. Beide Sorten sind im Sommer und Fruehherbst am besten.
Haben sich Blüten gebildet - sie sind grün und recht unauffällig -, so wird sein Geschmack strenger, gar bitter. Man kann dem abhelfen, indem man ab dem Hochsommer die Spitzen der Stängel auf etwa halber Höhe abschneidet und Seitentriebe zieht.
Estragon lässt sich schlecht trocknen. Besser ist es, die Blätter in Essig einzulegen, dann bewahren sie ein saubereres Aroma.
Estragonessig schliesslich ist als Salatwürze bestens geeignet - und tatsächlich sollten Sie dann jeweils einen Zweig deutschen und französischen Estragon in die Flasche stecken, denn eine Mischung ist noch besser als beide Sorten einzeln! Rezepte: Steirisches Majoran-Schöpsernes Leberknödel Kerbelsuppe Kerbeltomaten Sauce Béarnaise Kabeljau mit Estragon
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