Originaltext Siebeck:
Das Olivenöl wird mit den angedrückten Knoblauchzehen erhitzt. Wenn diese golden geworden sind, herausnehmen. Statt ihrer kommen nun die in 5 mm dünne Scheiben geschnittenen Zucchini ins heisse Öl. Dort lassen wir sie in aller Ruhe schmoren, bis sie weich und cremig geworden sind. Aus der Menge der Zucchinischeiben ergibt sich, dass mit dem Öl nicht geknausert werden darf. Nun kommen die Muscheln an die Reihe. Frau Dilengite, die aus Neapel stammt, hat natürlich ganz bestimmte Vorstellungen davon, was das für Muscheln sein müssen.
Aber in Berlin, wo sie die Vorentscheidung als Siegerin verliess, bekam sie nicht die, die sie wollte, und auch in Hamburg war das Angebot naturgemäss nicht so wie in Neapel. Ich halte die Muschelsorte auch nicht für entscheidend. Wenn der Markt nur Miesmuscheln anbietet, dann nimmt man eben Miesmuscheln.
Allen Muscheln gemeinsam ist, dass sie unter fliessendem Wasser gründlich gebürstet werden müssen, bevor man sie ins kochende Wasser wirft. Denn dieses dient bei vielen Rezepten als Suppenflüssigkeit oder als Sauce. Bei diesem Rezept ist das nicht anders: In dem Muschelwasser werden später die Nudeln gekocht. Frau Dilengite schreibt vor, die Hälfte der Muscheln aus den Schalen zu lösen. Die restlichen Muscheln verteilt sie mit den geöffneten Schalen auf den Tellern. Das scheint mir nur ratsam bei kleineren Muschelsorten, wie sie in Italien bei den spaghetti alle vongole Verwendung finden. Die grossen Schalen der Miesmuscheln sind zu sperrig, um sich auf den Tellern zwischen Nudeln und Gemüse zu drängen. Ich würde sie vollständig auslösen. Ohnehin tragen die Schalen nicht zum Geschmack bei. Sie sind als rustikales Aperçu gedacht, weitere Bedeutung haben sie nicht. Die garen Muscheln zu den Zucchinischeiben geben.
Inzwischen kochen die Linguine im Muschelwasser. Aus dem Basilikum rührt man ein Pesto mit Olivenöl, Pinienkernen, Pfeffer und Salz.
(So macht das jedenfalls Frau Dilengite. Ich persönlich würde immer auch noch ein paar Anchovis untermischen.) Damit wären alle Bestandteile dieser Vorspeise bereit: Die Nudeln auf die Tellermitte, darum herum die Muscheln mit den weichen Zucchinischeiben, darauf und daneben das dunkelgrüne Pesto tropfen und mit Kirschtomaten dekorieren. Die südliche Schönheit dieses Tellers wird nach Sekunden zerstört, indem man die Zutaten miteinander vermischt. Der erwähnte Parmesan kann darüber gehobelt werden. Das steht ihm besser, als wenn er wie üblich gerieben würde.
In meiner Küche fallen derartige Gerichte durch eine Schikane auf, an der ich häufig scheitere: der Temperatur. Nudeln sollten wie Reis immer heiss, sehr heiss serviert werden. Aber sie haben ihren eigenen Willen. Wie schon Rene Conrad, der Küchenchef des Berliner Gourmet- Restaurants Facil, der in Berlin neben mir in der Jury sass, richtig bemerkte: »Die Nudel lebt.« Das heisst, sie verändert sich schneller, als man »Bella Napoli« sagen kann. Und damit muss man rechnen. Nicht nur bei dieser mediterranen Vorspeise der Anna Dilengite.
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